ABC des Scheiterns
Juni 22

d I
dichten
nicht ganz dicht
ritzen verstopfen
gegen erinnern
worte setzen
dicht an dicht
verdichtet
nichts passt
dazwischen
das geheimnis
bewahren - kein
sterbenswörtchen
d II
depression
mit druck
zum ausdruck
spuren mit dem
werkzeug drücken
ausdrücken
aus
trotz
über druck
gegen druck
unter druck
folgt kompression
ist dichten verdichten
abgedruckt
in der presse
abgestempelt
wo bleibt das leichte
For my English reading friends:
poetry
cracked nutcase
plug up all cracks
against remembrance
put words
close together
compacted
nothing fits
between
the secret
preserve - don't
say a word
depression
for expression
press tracks with
the tool
express
out of defiance
over pressure
against pressure
under pressure
follows compression
is poetry compression
printed
pressed
stamped
where is ease
I think I see Lungwort in the background. 🙂 Thank you for the translation. The first poem makes me think of how adept our psyches are at forgetting what is unpleasant. I know I’m a champion in that department!
In the second poem: I don’t think poetry is always compression. Of course, often words are pared down to the essence and compressed in that way. But not always. There is ease in poetry, too. Sometimes.
I like the first 3 lines in the second poem a lot – they have a visceral quality. I can see it happening. I really like the middle lines, too. The power of expression! This is a recurring theme for you, right? The final lines, to my mind, don’t have to go to what sounds like a negative place. However, as an expression of what you were feeling the message is being telegraphed loudly and clearly. Congratulations on putting these beautifully crafted poems out there, along with the atmospheric photo. 🙂
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Dear Lynn, thank you for this intense resonance.
Writing poetry for me is often working like psyche and forgetting/remembering, as far as we know the process. Repression and replacement, always reorganizing things. There are always several layers at the same time active, and we are permanently surprised how they interact in unexpected ways. And part of us tries hiding what is flashing through, part of us is digging for lost memories.
You are right, this belongs to the questions permanently occupying me, along with the relationship between pression and expression.
By the way, let us not overlook the pleasant association between pression and printing, you name it.
Lungwort is blooming in the shady background, yes.
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Dieses D-Gedicht bietet wirklich sehr viele Assoziationen und Interpretationsmöglichkeiten. Auch gerade die bildliche Sprache in diesen Zeilen ist sehr anregend. Klasse! Scheitern (was immer das ist)? Nö!
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Ich freue mich immer wieder zu erfahren, wenn meine sehr verdichteten Texte LeserInnen erreichen. Von den Assoziationen und inhaltlichen Verbindungen zu „dichten“ und „drucken“ war ich beim Schreiben selbst überrascht.
Du weist auf die Zwickmühle hin, wie Lyrifant: müssen Gedichte im Scheiterhaufen missraten sein, aus Gründen der Glaubwürdigkeit? Es wird auch solche geben …
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Scheitern ist ein so drastisches Wort und ich fragte mich, ob es das überhaupt gibt oder was man so benennen möchte. Nicht alles funktioniert, manchmal produziert man Käse, aber ist das dann wirklich scheitern? Aber man kann es auch anders benennen. Das sind jetzt vermutlich nur Haarspaltereien von mir 😉
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So ein richtiges Scheitern auf der ganzen Linie gibt es wahrscheinlich nur, wenn man sich sehr irrational übergroße Ziele steckt. Sicher gibt es auch eine Menge Synonyme mit leicht abgespeckten Bedeutungsgehalt. Aber der „Scheiterhaufen“ hat mich zu sehr gereizt. Nun spiele ich eben alle Gebiete durch, die in (meinen) kreativen Prozessen eine Rolle spielen (können).🙂
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Ich freue mich schon auf den Scheiterhaufen 😉 Kleiner Scherz. Es ist eine interessante Idee, mal was anderes, und führt offensichtlich zu spannenden Auseinandersetzungen. Ich bin gespannt, was noch kommt!
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Das ist ein Gebiet, zu dem jedem und jeder was einfällt, ganz kontrovers auch, daß gefällt mir gut.
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Derzeit hinke ich hier immer etwas hinterher mit dem Kommentieren, sorry … Aber ich bin ganz begeistert von Deinem Scheiter-ABC bzw. -D! Das Ausloten der Wörter „dichten“ und „Druck“ ist Dir dafür fast zu gut gelungen 😀: welch wunderbare Mehr-Deutigkeit! Ganz fantastisch die Verse:
nichts passt
dazwischen
Genau das macht Dichten aus – diese Gleichzeitigkeit von Scheitern und Gelingen. Und Dein Umspielen der Druck-Wörter öffnet sich ebenfalls in diese Richtung. Erhellend! Wunderbar!
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Hier hinkt niemand hinterher, liebste Sabine! Wir wollen uns doch keinen Druck machen …
Deine Andeutung, dass gelungene Gedichte nicht auf einen Scheiterhaufen gehören, stimmt mich nachdenklich. Da habe ich mir eine schöne Falle/ Ausrede gebastelt, ohne es vorherzusehen.
Was du hier bemerkst, ist mir erst während des Schreibens aufgegangen; es war mir vorher nicht Absicht noch überhaupt klar, dass Druck und Dichtung nicht nur im Gegensatz zueinander stehen, sondern ganz eng miteinander verflochten sind.
Druck als Technik macht da gar nicht den Gegenspieler, sondern erweitert noch die Bedeutung.
Deine geschätzten Gedanken werfen, wie so oft, neues Licht aus neuem Winkel und werfen überraschende Schatten. Danke 💕
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Schönes Bild mit dem Charme einer Lochkameraaufnahme. (Farbfotos sind auf diese Weise schwierig). Die Gedichte sind sehr interessant und nachdenkenswert, weil man sie mehrspurig verstehen kann.
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Um mehrere Spuren oder Ebenen bemühe ich mich bei solchen Texten immer, Joachim, es entstehen beim Schreiben manchmal noch zusätzliche durch die Eigendynamik der Verdichtung.
Für das Foto habe ich das Objektiv abgeschraubt und durch einen Lochvorsatz ersetzt. Nur der dunkle Kasten dahinter ist etwas aufwendiger als früher. Leicht perverses Vorgehen, könnte man sagen, aber eine interessante Erfahrung.
Gleich fahre ich zum Fotografieren nach Münster, und heute Nachmittag gönne ich mir einen Besuch bei Krimphove.
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Ein voll spannender Beitrag, liebe Ule, in Text und Bild!
Dicht und Druck: Zu eng (dicht) und zu verkrampft(Druck) für die Poesie. Scheitern wahrscheinlich, ja. Ritzen nicht dichten ,denn: there’s a crack ineverything where the light comes in.
Und doch kann Dichten immer noch vieles in einem dichten Satz, ja in einem Wort , in großen Kreisen zum Schwingen bringen, finde ich immer wieder. Und es schewingt sich auch wohltuend über manche Ritze, oder?😉
Was ist Scheitern eigentlich?
Wohl für jeden etwas anderes?
Gedankenfutter bietest du da an und die Kommentare ebneso. Herzlich, Petra
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Hach, Petra, was für ein tolles Zitat: ja, wir wollen nach den cracks suchen, durch die das Licht uns gegen alle Widerstände immer noch erreicht. Dein Kommentar schwingt großartig in eleganten Kreisen über dem Scheitern, das du gleichzeitig anerkennst und bestreitest.
Du tust gut daran, die Kommentare hervorzuheben, die so gedankenvoll den Faden des Beitrags aufnehmen und weiterreichen. Sie weben, wie der deine mit, das Netz, das uns auffängt.
Was scheitern ist? Das spürt jede/r, wenn es stattfindet, auf eigene Weise, auch ohne Definition. Zum Glück findet es meistens nicht insgesamt, sondern auf kleinen Bereich begrenzt statt. Das ABC sammelt solche möglichen Ereignisfelder.
Danke, dass du hier Impulse hereinbringst.
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Als ich deine(n) Text(e) gestern Abend las, hatte ich einige Assoziationen, die ich gerne dichterisch zum Ausdruck gebracht hätte. Aber nun habe ich sie vergessen. Sie haben sich wohl in der Nacht „verdrückt“… 🤷🏼♀️
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Wie schade … das Phänomen ist mir leider sehr vertraut, poetische Assoziationen haben ganz kurze Verfallsfristen.
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Wenn das mal bei manch anderen Assoziationen auch so wäre… 😉
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👀
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Zur Depression
Wenn der Druck zu stark und langanhaltend war, dieser angstschwangere,
dann schrieb ich mir, versuchte, auszudrücken, was war, diesen Salat im Kopf
dieses Gemüse, das verdorbene
Kunst kann retten, ich habs erfahren.
Were „Kunst kann“, der hat Liebe zu sich wieder erweckt.
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Danke sehr, lieber Gerhard, für diese sehr persönliche Reaktion auf das Gedicht. Vielleicht hat der Versuch, sich künstlerisch auszudrücken, wirklich etwas mit dem Ringen um sich selbst zu tun. Solange man sich dieser Mühe wert ist, ist noch nicht alles verloren.
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Man erfährt so, daß man nicht völlig hilflos ist. Wer etwas Schönes hervorzubringen vermag, der kann doch nicht ewig und ewig fallen.
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Des Kaisers neue Kleider”, das kam mir in letzter zeit immer wieder in den Sinn.
Man hat fast den Eindruck, es gäbe gar keine Realität…mehr. Vieles ist verwurstelbar ins Gegenteil
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Ja, Realität ist immer mehr das, was innerhalb einer „Freundschaftsblase“ gemeinsam als gültig angesehen wird. Was ich kaum noch erlebe: dass Menschen, die anders denken, als Bereicherung empfunden werden, und nicht als Störung. Und die ewige Verwurstelung mit dem Ziel der ungestörten Harmonie gehört wohl auch in den Kontext.
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Was heisst in dem Zusammenhang „anders denken“? Das frage ich mich des öfteren.
Wenn das „andere“ Denken Hand und Fuß hat, wieso sich nicht darauf einlassen?!
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Recht hast du.
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Ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der immer mehr Gewissheiten sich auflösen. Das ist wunderbar entspannend auf der einen Seite, aber das Schwinden von Falsch und Richtig stimmt mich andrerseits in manchen Fällen auch besorgt.
Unterm Strich: ich habe das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ immer geliebt. Lass uns die Mythen weiterhin als solche benennen. Und sie lieben, wo sie uns nicht unter Druck setzen.
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sehr sehr schön, liebe ule, und mir scheint es inzwischen ein mythos zu sein, dass dichten etwas mit verdichten zu tun habe. 🙂
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Verdichten, abdichten, dichten … Druck, Ausdruck, ausdrücken. Wie schön Wörter doch sind und wie man sie zueinander in Bezug setzen kann. Die Entstehung von Diamanten durch Druck ist ja ein sehr schönes Gleichniss
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Verdichtung mit Extremdruck: wie tief die Vernetzung von Wortbildung, Wortbedeutung und natürlichem Rahmen doch ist, nur selten ist uns die Komplexität des Netzwerks bewusst. Alexanders Diamantengedanke verweist sehr schön darauf. Und wie alt ist doch die Redewendung vom „Juwel“ für besonders gelungene Kunstwerke.
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Ich habe mir schon oft darüber Gedanken gemacht, wie Dichtung von Verdichten kommt, und unter Verdichtung die Abschottung und Verschichtung wie in der Kohle, über Flöze, stattfindet, so gepresst, dass aus dem Schwarz in Schwarz plötzlich unter dem Verdichten Diamanten entstehen, die sonderbarerweise lichtdurchlässig werden, brilliant und funkelnd, lichtspendend, statt absorbierend. Verrückt. Daran habe ich gedacht, da das Wort „Dichten“ nur so in meinen Gedanken beim Lesen des Beitrages hin und her purzelte. Viele Grüße.
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Lieber Alexander, eine kostbare Erweiterung zum Dichten schenken deine Gedanken , die zugleich dem Druck die negative Schwere nehmen, der zu diamantener Klarheit führt.
Ich bin sehr erfreut über deinen Besuch.
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