„Was sitzest du hier noch faul herum, Bruder Liudger, musst du nicht zum Beichtdienst?“ Erwischt! Auch noch vom Abt persönlich, der immer etwas an mir zu bemängeln findet: zu faul, zu dick, zu schlecht in Lesen und Latein.
Widerwillig hebe ich mich von der Bank. Die heiße Suppe hat die Kälte, die überall im Kloster herrscht, nicht aus meinem Körper vertrieben. Ich will mich ein wenig von der Septembersonne wärmen lassen, bevor ich mich wie ein Maulwurf in den Beichtstuhl eingrabe.
Das Beichten mag ich am liebsten,
man sitzt bequem und lässt sich die Heimlichkeiten der Dirnen und Weiber ins Ohr flüstern. Männer kommen selten zur Beichte, aber deren Sünden sind auch nicht anders als meine eigenen. Unkeusche Gedanken höre ich ganz gern. Wenn es nur nicht so kalt wäre in der Kirche.
Stimmen klingen herüber. Von der Kastanienmühle. Nein, nicht das übliche Geschnatter. Nur eine Stimme. Wenn es so ruhig ist, erzählt meist diese Jacoba ihre ketzerischen Fantasien. Mal hören, was sie sich diesmal für Irrsinn ausgedacht hat. Hier hinter dem Gestrüpp werden sie mich nicht wahrnehmen, und ich kann die Mädchen sogar sehen: Vier sitzen auf der Erde, Jacoba mit dem Rücken zu mir. Als einzige hat sie die Haube abgelegt und ihr Haar glänzt in der Sonne wie Maronenschalen.
Herb und nussig weht ein Duft zu mir. Die drei anderen Dirnen mahlen die letzten Kastanien vor der neuen Ernte zwischen den Steinen zu Mehl, aber ihre Augen, Ohren und Herzen sind ganz bei der Erzählerin. Jacoba, wie üblich: die Hände in sündhafter Muße, außer wenn sie mit ihnen ihre Erzählung begleitet.
„Und stellt euch vor, in der Stadt gibt es Frauen, die sind Meisterin einer Werkstatt. Sie bestimmen über sich selbst und über ihre Kinder.“
„Nein, jetzt übertreibst du aber, Jacoba!“
„Doch, die Händlerin hat es genau so gesagt, und ich konnte sehen, sie trug eine Geldkatze am Gürtel. Und die Männer, die die Wagen mit den Waren führten, gehorchten ihr.“
Was ist denn das  für eine widernatürliche Geschichte? Die Dirne bringt die dummen Weiber noch zu aufmüpfigen Ideen! Jetzt lachen sie auch noch, womöglich über uns Männer! Am lautesten Jacoba, ihr Gelächter durchschneidet mir Ohr und Gedärme, genau wie damals, am Fluss. Immer seh ich sie seitdem vor mir stehen, von Wasser glitzern, nackt, in jeder unzüchtigen Beichte, in jeder Nacht, und immer hör ich sie lachen, lachen, lachen …
Meine Hände verschließen die Ohren gegen die Pein. Unachtsame Bewegung, das Gebüsch raschelt, die Dirnen kreischen und springen auf.
Flucht!
Nein. Nicht neue Nahrung der Lächerlichkeit!
Nach vorn, ihr entgegen, der Hexe.
Die drei Mägde stehen starr und stopfen das sündhafte Lachen mit den Fäusten ins Maul zurück. So ist es recht. Zeigt Achtung vor der Geistlichkeit!
Auch Jacoba ist verstummt. Sie sitzt noch dort unten, schaut über die Schulter zu mir, halb verschleiert mit Kastanienhaar. Lächelt noch immer? Spottet gar? Das freche Ding!
„Nimm dich in Acht, Sünderin, auf dass dir nicht Lästerzunge und Hexenhaar beschnitten werden. Vor Sonnenuntergang sehe ich dich im Beichtstuhl.“
Mein.Arm, mein Finger, ausgestreckte Anklage, warten, bis das Lächeln erlischt und endlich, endlich gottgefällige Furcht in ihre Augen kriecht.