Das passt mir gut,
dass ornament nicht nur Ziergegenstand, sondern in der Kunst auch Arabeske heißt. Da nehme ich doch gleich noch die nächste Kurve und gebe meinem Gedicht über das Balletttraining aus dem Jahr 2015 endlich ein Beitragsbild. Der Inktober macht es möglich. Was Inktober bedeutet, kannst du erfahren, indem du auf das Wort klickst.
Damals gehörte ein youtube-Video zu dem Gedicht, das zum einen sehr schön ist, zum anderen vielleicht Verständnishilfe für den Text bietet: https://www.youtube.com/watch?v=VzM9Mt_cpq0
alte schule
heute schon gedehnt – gebeugt?
allez mes enfants!
auf die spitze!
gesicht nach vorn!
drehung verstolpert?
noch mal! dawai!
müde?
haltung!
und lächeln!
nur der bauch verrät
wild pumpendes herz
gepeinigte glieder
qual
lässt federleicht tanzen
schweben slow motion
nur für die
anderen ist der
zauber
Und hier ist das sehr alte Foto (wieder von meiner Mutter aufgenommen), dem ich das Motiv entnommen habe:
Gestern erst habe ich eine Doku über die Schüler der Pariser Oper gesehen. Ich war hin und hergerissen zwischen Bewunderung für deren Hingabe und Leidenschaft für den Tanz und Mitleid angesichts ihrer kompletten Selbstaufopferung für die Kunst. Sich in so jungen Jahren solch eiserner Disziplin zu verschreiben ist für mich sowohl beeindruckend wie auch besorgniserregend. Wonach strebt der Mensch, wenn er die Perfektion erreicht hat? Liegt das Glück nicht auch darin, einfach sein zu dürfen? Danke für diesen Beitrag und die Kommentare, die zum Denken anregen.
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Diese Selbstaufgabe erschüttert mich auch immer wieder, obwohl ich den Zustand durchaus nicht fremd finde, im faszinierten Tun Essen und Trinken zu vergessen. Aber jahraus jahrein tagaus tagein in jedem Moment? Und: Kinder fast noch! Der Sport kennt solche Auswüchse ja auch.
Deine Frage nach dem einfachen Glück, dem großen Glück im Einfachen auch, halte ich für zentral – solches Glück zu bejahen würde vielen Menschen Unglück ersparen.
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Nur ist der Mensch fürs Einfache scheinbar nicht gemacht, respektive er entwächst der Einfachheit sowie er den Kinderschuhen entwächst … Kinder können so herrlich einfach sein, sich einfach freuen oder einfach traurig sein, einfach sich selber sein. Und dann kommen wir Erwachsenen (das Wort hat ja so einiges in sich) und korrigieren das mit Sätzen wie „Nein, doch nicht so!“ …
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Eine schwierige Balance: Entwicklung fördern, ohne zu verbiegen …
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Ein feiner grafischer Reigen, auf dem ich mich konzentrierte.
Das Mädchen dahinter scheint seine Bestimmung gut angenommen zu haben.
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Seine Bestimmung, zum Ornament zu werden, jedenfalls ☺. Ja, dieser Reigen, was sagt er uns über die Grenzen eines Mädchens, sich von anderen unterscheiden zu dürfen?
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stark! Und wie Lyrifant sagt „wie in Deinem Bild der menschliche Körper zum reinen Muster wird. Dass der Mensch fast verschwindet, ist ein sinniges Sinnbild für den Spitzentanz.“
Ich gehe rückwärts – von dem alten Foto, das ein hoch aufgeschossenes Kind zeigt, bemüht, dem Ideal der fließenden Bewegung im Gleichgewicht der Glieder zu entsprechen, aber schon wissend, dass es dieses Ideal nicht erreichen wird. Vergebliche Liebesmüh. Dann das Video, hier eine junge Frau von großer Ausdruckskraft, doch was drückt sie aus? Dass sie zur Verfügung steht? Dass sie bis zur Selbstverleugnung bereit ist, sich zu quälen?
Dann der Text, hier vor allem die letzte Zeile:
nur für die
anderen ist der
zauber.
Das Kind im Zentrum des Ornaments, perfekte Unschuld, reizende Form, Omas und Mamas und Papas sind stolz auf das liebliche so wunderbar dressierte Kind.
Und schließlich der Reigen all dieser in eine Form gegossenen Mädchen, Kleine Freiheiten im Tanz, es sind ja noch Kinder, sind erlaubt, doch bald wird es heißen: Schluss damit, wenn du Karriere machen willst. Schluss und aus.
Es bleiben die Fotos, als sie tanzten, „nur für die anderen der zauber“. Und eine Enttäuschung, ein schmerzlliches Ziehen vielleicht, dass es schließlich „doch nicht gereicht hat“.
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Liebe Gerda, hier haben deine seherischen Fähigkeiten sich selbst übertroffen: du beschreibst ein Stück real erlebte Kindheit dieses „hoch aufgeschossenen Kindes“, inklusive der entzückten Familie. Was so schlimm ist – ich formuliere bewusst in der Gegenwart, weil es in heutigen Gepflogenheiten noch immer so ist – , dass diese Kinder ihre eigenen Sklaventreiber und im Falle von Mädchen auch Zuhälter sind: mit Entsetzen habe ich kürzlich Selfies auf Instagram gesehen, auf denen Kinder sich in lolitahaftem Schönheitsideal veröffentlichen.
An diesem Inktober-Impuls hat mich überrascht, wie weit mich der Begriff getragen hat, den ich zunächst als etwas formal und oberflächlich empfunden habe. Bis die Information, dass dem Einzelelement im Ornament eines Dekors häufig eine tiefere und weitergehe Bedeutung eignet. Da machte es Klick.
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In case there is any doubt, you’ve made it clear that you can work inside and outside of the boundaries. What a contrast between this and the previous one! Ballet is sweet torment, I guess, and a good choice for „Ornament.“ It makes one think about what is natural and what is beautiful….there are no easy answers, right?
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Yes, dear Lynn, the contrast is almost absolut.
Your question about the natural and the beautiful is a really big one. And I’d like to add the question who defines and decides what is beautiful, especially regarding human beings. The beautiful in classic ballet most often is not natural, but acquired by hardest exercise.
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Wie schwer es doch ist, etwas leicht aussehen zu lassen! Ich finde es faszinierend, wie in Deinem Bild der menschliche Körper zum reinen Muster wird. Dass der Mensch fast verschwindet, ist ein sinniges Sinnbild für den Spitzentanz. Gute Idee, gerade diesen Text nun zum Impuls Ornament so umzusetzen! (Ornamenz hab ich zuerst aus Versehen getippt, aber das würde auch gut passen).
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Dass der Mensch fast verschwindet, passiert doch überall da, wo das reine, technische Funktionieren im Vordergrund steht. Tanz ist wirklich mit die schlimmste Menschenschinderei, die ich kenne, und nicht selten sind die allerbesten Tänzerinnen mit Mitte dreißig regelrecht kaputt, berufsunfähig, krank.
Den Körper zum Muster, zum Dekor zu machen versteht unsere Gesellschaft mit den normierten Schönheitsidealen schon lange perfekt, auf die Spitze treiben es die jungen Frauen jetzt mit ihren Selfies auf Instagram und Co.
Ich freue mich sehr, dass du meine Idee bestätigst, den „alten“ Text so zu kombinieren, lieber Lyrifant!
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