Doppelter Blickfang – A Double Eye-catcher

Ein etwas anderer Blickfang – fotografiert und geschrieben von zwei Bloggerinnen in zwei Sprachen
A different kind of eye-catcher – photographed and written by two bloggers in two languages

Ein Vorwort – Introduction

Im April 2019 verbrachte Lynn (https://bluebrightly.com/) während ihrer Reise durch Norddeutschland einen Tag in Klein Reken im Münsterland. Während eines Spaziergangs durch die Felder und den Ort kamen wir auch zu „Funkes Schweinestall“, und was sich daraus entwickelte, ist hier und in Lynns entsprechendem Beitrag zu lesen. Hier veröffentlicht sind meine Fotos, Lynns Fotos desselben „subject“ gibt es in ihrem Blogbeitrag .

In April 2019, Lynn (https://bluebrightly.com/) spent a day in Klein Reken in the Münsterland region during her trip through northern Germany. During a walk through the fields and the village  we also came to „Funke’s pigsty“, and what emerged from it is to be read here and in Lynn’s corresponding blog post. Here are my photos to be seen, Lynn’s photos taken of the same subject are published in her own post.

Annäherung an das Motiv – Approaching the Subject

Mitten im Dorf steht ein altes, verlassenes Fachwerkhaus, das für die Menschen hier nur „Funkes Schweinestall“ heißt. Seit 25 Jahren habe ich nie jemanden gesehen, der die schiefe Tür geöffnet hätte, um es zu betreten. Fensterläden wehren neugierige Blicke von der Straße her ab, vor den Fenstern des „Balken“ hängen Gardinen, die beim Versuch, sie zu berühren, wohl zu Staub würden. „Balken“ nennen die Menschen in Klein Reken den Raum über einer Zwischendecke im Dachbereich der niedrigen Häuser, der als Speicher für Heu, Getreide und Wintervorräte diente, manchmal auch als Schlafzimmer genutzt wurde.

In the middle of the village stands an old, abandoned half-timbered house, which for the people here is just called „Funke’s pigsty“. In 25 years I have never seen anyone open the crooked door to enter it.  Shutters avert curious glances from the street, curtains hang from the windows of the „balk“ and would probably turn to dust when you try to touch them. The people in Klein Reken call the space above a false ceiling in the roof area of low houses a „balk“. The balk served as storage for hay, grain and winter supplies, and was sometimes also used for bedrooms.

Funkes Schweinestall

 

Verrottetende Dachbalken sind durch Latten notdürftig stabilisiert – es muss also doch jemanden geben, der sich um das Gebäude kümmert.

Rotting roof beams are barely stabilized by slats – so there must be someone to take care of the building.

Die erste Fotogalerie – The First Gallery

gibt Gelegenheit, sich in Überblicken über das Gebäude zu orientieren. Durch einen Klick auf das erste Bild öffnet sich eine Bilderschau größerer Ansichten in der Reihenfolge eines Ganges um das Haus gegen den Uhrzeigersinn. In der Bilderschau erscheinen auch die englischen Übersetzungen der Bildunterschriften.

gives you the opportunity to take a closer look at the building in overviews. Click on the first picture to open a picture view with larger views in the order of a passage around the house in a counterclockwise direction. In the picture show the English translations of the captions also appear.

Zeitzeugen – Witnesses

Ich frage meinen Freund Kurt, der seine Kindheit in den 50er Jahren im Nachbarhaus verbrachte, das heute wie damals den Unterschied zwischen etwas wohlhabenderen und ärmlichen Lebensverhältnissen belegt, nach seinen Erinnerungen an dieses Haus:

I ask my friend Kurt, who spent his childhood in the 1950s in the house next door, which today, as then, shows the difference between a little wealthier and poor living conditions, to tell about his memories of this house:

Funkes Schweinestall und Kurts Geburtshaus

„Schon in meiner Kindheit war das ein altes Haus von ärmlichem Zuschnitt, das aber immer gepflegt wirkte. Damals wohnte dort eine Familie, mit deren Kindern ich im Hof hinter dem Haus oft gespielt habe, wenn ich meine Großmutter zu einem Besuch dorthin begleiten durfte. Im Hof gab es Hühner, auch Katzen, die niemals ins Haus durften, allenfalls draußen auf der Fensterbank liegen.“
Im Haus gab es damals keine Toilette, kein Wasser, und keinen Stall, da der Familienvater nicht als Bauer arbeitete, sondern im Bergbau im Ruhrgebiet seinen Lebensunterhalt verdiente, wie viele Männer nach der Fertigstellung der Eisenbahn 1877. Tatsächlich kam in das arme Dorf durch diese Arbeitsplätze zum ersten Mal ein wenig bescheidener Wohlstand.
Kurt erinnert sich gut an das Jahr 1955, als der Mühlenweg eine eigene Wasserversorgung bekam, er konnte den Hauseigentümern, die selbst die Gräben für die Leitungen aushuben, bei den Arbeiten zuschauen, weil er zu der Zeit mit Masern zuhause bleiben musste. Da kam dieses Ereignis als Mittel gegen die Langeweile gerade recht.
Danach musste seine Familie das Wasser nicht mehr aus dem Brunnen pumpen, das war besonders an den Waschtagen und den wöchentlichen Badetagen eine Erleichterung, wenn die Zinkwanne gefüllt wurde, in die alle Familienmitglieder – einer nach dem anderen in dasselbe Wasser – zur gründlichen Reinigung stiegen. Erst später bekam Kurts Familie das erste richtige Badezimmer am Mühlenweg, gefliest und mit Badeofen – Luxus! Solchen Luxus hat das Häuschen der Bergarbeiterfamilie nie gesehen.


„Even in my childhood this was an old house of poor construction, but it always looked well maintained. At that time a family lived there, whose children I often played with, in the yard behind the house when I was allowed to accompany my grandmother there for a visit. In the yard there were chickens, also cats, which were never allowed in the house, at the most, just outside on the windowsill.“
At that time there was no toilet, no water in the house, and they had no stable, because the father of the family did not work as a farmer, but earned his livelihood in mining in the Ruhr area, like many men after the completion of the railroad in 1877. In fact, the poor village came to a little modest prosperity through these jobs for the first time.
Kurt remembers well the year 1955, when the Mühlenweg (Mill Road) got its own water supply. He was able to watch the home owners at work digging the trenches for the pipes themselves, since he was home with the measles at that time. This event was the perfect remedy for boredom.
Thereafter, his family did not need to pump the water out of the well, which was especially a relief on washing days and on the weekly bathing days when the zinc tub was filled, into which all the family members – one after the other in the same water – climbed for thorough cleaning.  Only later did Kurt’s family get the first proper bathroom on the Mühlenweg, tiled and with a bath stove – luxury! Such luxury had never been seen in the miner family’s house next door.

Ende der 50er Jahre zog die Bergarbeiterfamilie in ein Haus in der neuen Antoniussiedlung am Dorfrand. Das Fachwerkhäuschen wurde verkauft und zum Schweinestall umgebaut, fortan hieß es „Funkes Schweinestall“.

At the end of the 1950s, the miner’s  family moved to a house in the new Antoniussiedlung on the outskirts of the village. The half-timbered house was sold and converted into a pigsty, henceforth it was called „Funke’s pigsty”.

Die zweite Fotogalerie – The second gallery

zeigt reizvolle, schöne, auch lustige Details des Gebäudes. Auch hier verhilft ein Klick auf das erste Bild zu einer vergrößerten Ansicht und zweisprachigen Bildunterschriften.

shows charming, beautiful, even funny details of the building. Here, too, clicking on the first picture will help to enlarge the pictures and show bilingual captions.

Ein bisschen mehr aus den Dorfgeschichten – More Village Lore:

Um den Stall herum lagen im Dorf weitere kleine und größere Bauernhöfe, oft als Nebenerwerb mit nur einer Kuh betrieben. Die Kühe wurden morgens über den Mühlenweg auf die Weiden hinter dem Bahndamm getrieben. Da sie auf dem Weg entsprechende Spuren hinterließen, wurde der Mühlenweg auch Kudrizkistraße (Kuhdreckstraße) genannt. Die Kinder Martin und Heinz machten sich einen Spaß daraus, die Kühe mit Schweinekot zu bewerfen. Vierzig Jahre später berichtet Martin, dass Heinz von Knecht Alwis dafür mit einem Schlag in den Nacken bestraft wurde – verabreicht im Vorbeifahren, von seinem Fahrrad aus -, obwohl Alwis sonst sehr kinderlieb und einem Späßchen nicht abgeneigt war.

Around the stable there were other small and larger farms in the village, often run as a sideline with only one cow.  In the morning, the cows were driven over the mill path to the pastures behind the railway embankment. Since they left traces on the way, the mill path was also called Kudrizkistraße (Cowshit Path). The children Martin and Heinz made a joke of throwing swine manure on the cows.  Forty years later, Martin reports that Heinz was punished by the farm servant Alwis with a slap on the neck he gave him – by driving by them on his bicycle -, though otherwise Alwis was very fond of children and never averse to a joke.

Kurt berichtet über den Mühlenweg weiter:

Während des 2.Weltkriegs adressierte Anton V. eine Feldpostkarte an seine Familie mit Kudrizkistraße ohne weitere Ortsangaben – und sie erreichte ihr Ziel.

Kurt reports on the Mühlenweg:

During World War II, Anton V. addressed a field postcard to his family with „Kudrizkistraße“ without further location information – and it reached its destination.

Hilfe aus dem Archiv – Help from the Archive

Das Haus wird schon lange nicht mehr genutzt, nicht einmal als Stall. Es liegt still verschlossen dicht am Straßenrand und scheint von Jahr zu Jahr ein bisschen schiefer zu stehen.

The house has not been used for a long time, not even as a stable. It stands close to the road, always locked, and seems to be a bit more crooked every year.

Im Archiv des Heimatvereins gibt es kein einziges altes Foto von dem Gebäude, denn in Zeiten teurer und aufwändiger Fototechnik fotografierte man Kirchen, Gasthäuser, Schulen oder einen größeren Bauernhof. Es gibt ein paar alte Fotos aus dem Dorf. Diese stellte uns der Heimatverein Reken dankenswerter Weise zur Verfügung, die wir hier als Bilderschau zeigen dürfen.
Aber kein Wohnhaus armer Leute oder Schweinestall war solcher Aufmerksamkeit und Kosten würdig.

There is not a single old photograph of the building in the archives of Reken, because in times of expensive and elaborate photographic technology, one photographed churches, inns, schools or a larger farm. There are some old photos of the village. These were kindly made available to us by the Heimatverein Reken, which we are allowed to show here as a picture show.
No house of poor people or pigsty was worthy of such attention and expense.

Und weiter? – And Further?

„Der Mangel an fotografischen Aufzeichnungen über den Schweinestall wurde behoben, als Ule ins Dorf zog“ (so Lynn :-))

Das Häuschen faszinierte mich sofort, über die Jahre fotografierte ich es mehrfach. Und schließlich führte ich meine fotografierende Freundin Lynn vom Fidalgo Island (USA) bei einem Spaziergang dorthin, in der Annahme, auch sie könnte von der Ausstrahlung dieses Ortes berührt werden, in dem es keine Zeit zu geben scheint.

„The lack of photographic records of the pigsty was remedied once Ule moved to the village“ (according to Lynn 😀).
I was fascinated by the building right away and took a lot of photos on several occasions over the years. And eventually I took my photographer friend Lynn, who was visiting from Fidalgo Island US, on a walk, imagining Lynn would also be touched by the charisma of this place, where time seems to stop.

Nach Lynns Heimkehr sprachen wir über einen gemeinsamen Blogbeitrag, und der alte Schweinestall erschien uns das ideale Thema dafür. Wir dachten, es könnte interessant sein, unsere je eigene Sicht dieses Ortes zu zeigen. Ob wir da richtig gedacht haben … es ist nun an euch, das zu beurteilen.

Außerdem tauschten wir Galerien mit Schweinestallfotos aus, von denen sich jede einige  Fotos der anderen aussuchte, die sie bearbeiten wollte. Was dabei herauskam, zeigen wir in einem weiteren Beitrag, der etwas später erscheinen wird.

After she got home Lynn and I talked about collaborating on a blog post, and the old pigsty seemed a perfect subject. We thought it would be interesting to show our individual views of the place. Whether we thought that right … it is up to you to judge.

We also exchanged galleries of pigsty photos, each of us choosing a few photos the other person took to work on. Those photos will appear soon, in a separate post.