Neue Gedichte von der Insel 9
die andere seite
auf der bank von
holz in himmelsgrau
über den wipfeln von
krüppligen erlen
üppigem rosen
gestrüpp und weißdorns
errötenden früchten
hoch über weit
gestreckten salzwiesen
schon herbstlich gebräunt
überhaucht von flieder
und abendstillem frieden
die täuschung
Du bist eine sensible Leserin, liebe Gerda, und ich freue mich, dass du gerade dieses Gedicht gefunden hast.
Dass du diese Wellen spürst, liegt vielleicht daran, dass die Nordsee ganz nah war, während die Idee zu dem Gedicht entstand.
Eine Zeit tiefer Verunsicherung, des Hinterfragens alles Schönen und selbstverständlich Gewesenen war das – so auch in dem Bild ausgedrückt, in dem ich die schlichte Schönheit des Weidenröschens arg gerupft habe, um es meinem Seelenzustand anzuverwandeln. Die Täuschung, die hinter der Idylle lauert, über dem sommerlichen Himmel, unter der sicher geglaubten Demokratie auch.
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Dies Gedicht : Meine Gedanken und Gefühle werden bewegt, schwappen hin und her wie die Wellen, die sich an einem Felsen brechen und sich gegenseitig in die Quere kommen.
Die Täuschung. Ich nenne sie „die schöne Welt des Scheins“ oder Maya. Doch die meinst du wohl nicht, denn die Erde mit ihren schönen Erscheinungen ist dir real, die Täuschung wabert „hoch über“ der liebevoll wahrgenommenen Welt.
Die „andere Seite“ – jenseits der Täuschung erahnen wir sie, ersehnen wir sie. Auch dies meinst du wohl nicht, denn die andere Seite ist etwas, was dir hart und bedrohlich hinter dem schönen Schein der friedvollen Welt wahrnehmbar wird?
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die täuschung in der letzten zeile ist aber auch ausdruck von wachsein und das innehaben eines klaren blicks und das wiederum lässt zu, dass man die schönheit trotz allem erkennen kann!
so zumindest lese ich dein feines gedicht!
liebe grüße
gabriele
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Liebe Gabriele, deine Lesart finde ich tröstlich: für eine unheilbare Wahrheitssucherin ist es lebenswichtig, immer wieder an die konstruktive Seite der Täuschung erinnert zu werden, um nicht an ihr zu verzweifeln.
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Der Herbst im Sommer – keine Täuschung! Hui, hier wüsste ich zu gerne, wie Du das Bild gemacht hast: so viele Strukturen übereinander, auf dass mir schon schwindelig wird. Das Bild foppt, narrt, provoziert mich – klasse! Nur nicht täuschen lassen: alles ist in allem – keine Täuschung!
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Ich zitiere mich hier gerade mal selbst (Kommentar auf Ullis Blog https://cafeweltenall.wordpress.com/2018/09/05/schoenes/):
„In diesen Tagen bemerke ich, wie sich in der Art meines Schreibens und der Art, wie ich meine Bilder gestalte, ein Wechsel andeutet: die unschuldige Freude an einer schönen Welt (die es ja schon immer nur bei extremer Begrenzung des Blickes gab), gelingt nicht mehr und lässt sich auch nicht mehr ungebrochen künstlerisch beschwören. Mein Vertrauen hat Schaden genommen“ … (durch vieles Politische in den vergangenen Tagen) …
Ich “ will nicht wieder anfangen zu diskutieren – aber mein Schönheitssinn verändert sich gerade: die Zeit der hübschen Blümchen ist vorbei.“
Liebe Sabine, ich freue mich wie immer sehr über deinen Besuch und Kommentar. Die Mache des Bildes zeige ich dir gerne bei Gelegenheit ☺.
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